August der Starke  
und seine Schwächen

Der Grossonkel von Johann Wolfgang von Goethe, der Weltmann und genaue Beobachter am Hofe August des Starken, Johann Michael Freihherr von Loën, der schon 1718 feststellte, dass der sächsische Stamm zum Soldaten nicht tauge, "weil sie zu wollüstig und zu gemächlich sind" (1), wusste andererseit zu berichten: "Der Hof zu Dresden war der prächtigste und galanteste der Welt. Das sächsische Blut ist das schönste in Deutschland: es ist feuriger, zärtlicher und verbuhlter als dasjenige seiner Nachbarn. Bei Hofe, bei den Damen und im Umgang überhaupt, gibt es keine artigeren Leute als die Sachsen. Das Frauenzimmer, und darunter vorzüglich das meissnische, hat etwas überaus Holdseliges und Liebreizendes. Hier findet man die besten Sprachmeisterinnen der Deutschen, und der liebliche Klang ihrer Stimme macht auch unsere sonst rauhen Töne zärtlich und angenehm. Das sächsische Frauenzimmer übertrifft noch die Engländerinnen an Wuchs und Schönheit, es hat die Freiheit der Französinnen und das Feuer der Italienerinnen; in seinem schmeichelhaften und zärtlichen Wesen aber geht es allen vor. Es hat dem Ansehen nach etwas sehr Sittsames und Unschuldiges, es schlägt aber die Augen insgeheim (im allgemeinen) nur deswegen nieder, um mit einem geschärften Blick desto mehr Unheil anzurichten." (2)

 

Solche Blicke blicken tief, und wir nehmen einen tiefen Blick hinein in das barocke Sachsen des 17. und 18. Jahrhunderts. Was man früher heimlich und verschämt tat, darüber sprechen wir heute frei und ungezwungen weil aufgeklärt, aber das heisst nicht, dass wir das frivole Leben am kurfürstlichen Hof zu Dresden unkritisch betrachten, zumal die Frauen, die hier beschrieben werden, nicht die Angetrauten, aber oftmals die wirklichen Vetrauten, heute würde man sagen, als Seiteneinsteigerinnen, zu grosser Macht gelangten. Liebschaften und amouröse Abenteuer und Beziehungen hatte die deutsche Aristokratie schon immer, Mätressen aber, die wirklichen Frauen an der Seite grosser Herrscher gab es in deutschen Landen wohl erstmals am Hofe in Dresden.

Nicht zuletzt durch Ludwig XIV, den Sonnenkönig, aber auch durch die einflussreichen, attraktiven und schönen Frauen an der Seite anderer französischer Könige, hat sich das Bild der Mätresse in der öffentlichen Meinung deutlich geformt. "Sie hatten einfach jung zu sein, strahlend schön, raffiniert erotisch, intrigant, machtlüstern, raffgierig", formuliert Walter Fellmann (3) und Eberhard Fels kommentiert: "Mätressen haben Fürsten halb verrückt, Menschen unglücklich, Favoriten glücklich gemacht, sie haben Paläste wanken lassen und Staaten an den Abgrund geführt".

Sachsen zählte zum Ende des 17. Jahrhunderts sicher zu den sowohl ökonomisch wie wissenschaftlich-technisch fortschrittlichsten deutschen Territorialstaaten (4). Als Friedrich August, uns heute besser bekannt und beliebt unter dem Namen August der Starke, 1694 Kurfürst wurde, hatte Sachsen mit 900 Quadratmeilen etwa die Grösse des Kurfürstentums Bayern, war damit zwar kleiner als sein Nachbar Brandenburg-Preussen, von dem es später noch hart drangsaliert werden sollte, aber damals weit bedeutender.

Einer der ersten Handlungen des jungen Kurfürsten im Oktober 1694 war eine landesweite statistische Erfassung aller Einkünfte und Nutzungen, eine Bewertung nach einem einheitlichen Schema (5). Es folgten wirtschaftsfördernde Massnahmen, neue Impulse wurden gesetzt und das Bürgertum in den Städten als wesentlicher Träger der gewerblich-wirtschaftlichen Entwicklung zu neuen Unternehmen angeregt. Zwischen 1694 und 1733 wurden in Sachsen insgesamt 26 Manufakturen gegründet, wobei der Kurfürst selbst zum Gründer und Betreiber von Manufakturen wurde. Die berühmteste aller sächsischer Manufakturen, die einzig seit Gründung im Jahre 1710 bis heute existierende, ist die nun mehr staatliche, seinerzeit zunächst kurfürstliche dann königliche Porzellan-Manufaktur Meissen. Ihr einzigartiges Erkennungszeichen, die beiden gekreuzten blauen Schwerter, wurde dem kursächsischen Wappen der Wettiner entliehen, feiert heuer, 1997, ihr 275-jähriges Jubiläum und ist damit das ältestes Markenzeichen der Welt. (6)

Liebe, Leid und Laster liegen nahe beieinander. Das galt auch für Johann Georg IV. (1668-1694), den Bruder von Friedrich August. Er war der erste aus dem Geschlecht der Wettiner, der sich, kurz nachdem er 1691 Kurfürst wurde, offiziell und für alle Welt sichtbar, eine "Favoritin", eine Mätresse leistete. Die Residenzstadt Dresden war kaum mehr als ein kleines Provinzdorf mit gerade 16.000 Einwohnern; Altendresden, wie der Stadtteil auf der rechten Uferseite hiess, war beim grossen Brand von 1685 fast vollständig vernichtet worden.

Das war nicht Paris, nicht Versailles, wo Ludwig XIV. trotz der Ermahnungen der Marquise de Maintenon mit Glanz und Freude und all dem höfischen Gepränge und Gepräge residierte. Ein Lebensstil, der anderen Fürsten, bald allen voran, August dem Starken, zum Vorbild dienten. Dresden war eine Kleinstadt protestantischer Prägung, wohl deshalb stiess die erste Mätresse am sächsischen Hof auf so viel Widerstand. Man beschrieb sie als Hexe, die nur im Bunde mit besonderen, wohl finsteren Kräften, die Gunst des Landesherren hatte erringen können. Diese Frau hiess Sibylle Magdalena von Neitschütz (1675-1694).

Der sächsische Kurfürst Johann Georg III. (1647-1691), der die dänische Prinzessin Anna Sophie heiratete, die ihm mit den beiden Söhnen Johann Georg (1668-1694) und Friedrich August (1670-1733) zwei Söhne schenke, die beide Sachsen als Kurfürsten regieren sollten, war ein frommer Mann.

Das hielt ihn aber nicht von amourösen Abenteuer ab, und als er durch seinen Oberhofmarschall Friedrich August von Haugwitz, dessen Schwester Ursula Margareta kennenlernte, fand er Gefallen an ihr. Man verheiratete die Schöne mit einem Obristen namens Rudolf von Neitschütz, der auf Anordnung des Kurfürsten vielerlei soldatische Aufgaben wahrzunehmen hatte, vorrangig ausserhalb von Dresden. Ursula Margareta aber lebte gerne in der Residenz, wo sie nach und nach mehrere Kindern das Leben schenkte. Am 8. Februar 1675 kam Magdalena Sibylla zur Welt, und auch wenn damals keiner darüber sprach, so wusste man doch, dass der Obrist im Frühjahr 1674 Dienst bei der Rheinarmee tat und somit wohl kaum die Möglichkeit hatte, eine Tochter zu zeugen. Der Kurfürst selbst schien Sibylla als seine Tochter anzusehen. (7)

Diese Tochter, Sibylle, die spätere Reichsgräfin von Rochlitz, wuchs zu einem solchen schönen Kinde heran, dass dies an einem so kleinen Hof wie Dresden den beiden Prinzen nicht verborgen bleiben konnte. Insbesondere der Ältere, Johann Georg, zeigte reges Interesse an dem schönen Mädchen, das auf einem Portrait im Venustempel zu Pillnitz als "eine sinnliche Schönheit, wohlproportioniert, bildhübsch, zierlich, mit auffallend grossen Augen und so sympathisch keck, wie es ein Backfisch sein darf" (8) dargestellt wurde. Dem Kurfürsten konnte das - aus naheliegenden Gründen - kaum gefallen. Die Mutter, später auch ob ihrer guten Verbindungen und konsequenten Kupplungsmanöver auch "die Generalin" genannt, und ihre schöne Tochter Sibylle wurden vom Hofe verbannt. Sohn Johann Georg sowohl 1685/86 als auch 1687 auf Reisen geschickt.

Um seine Kinder fit für's Leben zu machen, und das Leben an einem Fürstenhof im ausgehenden 17. Jahrhundert war sicherlich manchmal sehr angenehm aber durchaus nicht leicht, vielmehr voller Verpflichtungen, liess Kurfürst Johann Georg III seine beiden Söhne die sogenannte "Grosse Tour", im deutschen Adel auch "Kavalierstour" genannt. (9), antreten.

Der Adel hatte in Europa früh die Tradition des Reisens begründet. Der soziale, wirtschaftliche und kulturelle Wandel in der feudalen Gesellschaft führte zu neuen Formen und Inhalten des Reisens. Aus der Synthese von ritterlich-höfischer und humanistischer Bildungsideale entstanden in den einzelnen Ländern in den Sitten verfeinerte Hofmänner, die in Frankreich als "gentil homme", in Deutschland als "Kavalier", in England als "gentleman" jeweils nationale Ausprägung erfuhren. Das Beherrschen von Sprachen, der Erwerb von Bildung und technischem Wissen und Verständnis, die Kenntnis höfischer Formen waren Ausdruck universitärer Bildung, die der seit dem 15. Jahrhundert fortschreitende Professsionalisierungsprozess im wichtigen adligen Betätigungsfeld der landesherrlichen und ständischen Verwaltung erforderte. Neben Fachkompetenz und Urteilsvermögen waren auch Weitläufigkeit, Takt, Geschmeidigkeit und gute Umgangsformen notwendig geworden. Reisen wurde neben der fundierten Ausbildung durch Hauslehrer unerlässlicher Bestandteil und die Kavalierstour damit zur standesspezifischen Bildungsinstitution. (10)

In der aristokratischen Ausbildung, denen sich die beiden Prinzen zu unterziehen hatten, erhielten sie die übliche Bildung ihrer Zeit; darunter waren Theologie, Französisch und Italienisch, Mathematik, Fortifikationswesen, Architektur, Geschichte, vor allem der regierenden Häuser in Europa, Schiessen, Fechten, Reiten und verschiedene Sportarten, wenn man dieses neue Wort auf die damaligen sportlichen Betätigungen anwenden möchte. Einer solchen gründlichen Ausbildung folgte dann die Kavalierstour, die Friedrich August am 19. Mai 1687, wenige Tage vor seinem 17. Geburtstag antrat. Es war eine geplante "Reise auf drey Jahr", die von Dresden über Frankfurt/Main, Strassburg, Paris, Spanien, Portugal, England, Holland, Dänemark, Schweden und dann über Nürnberg, Augsburg, München, Innsbruck, Mailand, Venedig und Wien wieder zurück nach Dresden führte. Dort kam er am 28. April 1689 wieder an. Begleitet wurde Friedrich August von seinem Hofmeister Christian August von Haxthausen, der ihn auch im Reiten und Fechten unterrichtete, und von vier weiteren Personen, darunter der Arzt Dr. Johann Jacob Bartholomaei, dem er später die Überwachung und Aufsicht der Böttger'schen Goldversuche und Porzellangewinnung mit übertrug und der 1708 neben Johann Friedrich Böttger zu Arkanisten (11) wurde.

Die Ausbildung, die Friedrich August genoss - und dazu gehörten auch Reisen in das benachbarte Ausland und Besuche an den Höfen befreundeter Monarchen -, unterschied sich kaum von der seines Bruders Johann Georg. Allerdings hatte er als "Nachgeborener keine Aussicht auf das Herrscheramt" und so wurde er in seiner Ausbildung auf den Kriegsdienst vorbereitet, "die einzige standesgemässe Beschäftigung, für einen nicht zur Regierung kommenden Fürstensohn." (12)

Um so überraschender stellen wir fest, dass August, durch den plötzlichen Tod seines Bruders auf dem Thron, sich bis heute einer ausführlichen militärischen Bewertung entzogen hat, vermutlich, weil seine andere Seite, die durchaus kreative Beschäftigung mit den Schönen Künsten und den schönen Frauen, so dominant sein Leben bestimmte, und er damit seiner Residenz und seinem Land einen weit in spätere Jahrhunderte reichende Prägung gab. Dabei haben militärische Erfolge und Misserfolge, wie die zahlreichen verlorenen Schlachten im Nordischen Krieg gegen Karl XII. von Schweden, August den Starken zu mancher Militärreform veranlasst. 1695 und 1696 hatte der junge Kurfürst als Reichserzmarschall den Oberbefehl über das Reichsheer in Abwesenheit des Kaisers. August operierte recht erfolgreich in der Belagerung von Temeswar und in den Schlachten bei Pantschowa und Dinasch. 1700 bis 1701 verstärkte er die sächsische Armee, die er 1706 reorganisierte. 1712 liess er das Ingenieurkops und 1723 die Ritterakademie zur Offiziersausbildung gründen. Im Sommer 1730 führte er im Lager von Zeithain den geladenen europäischen Fürsten und deren Militärs eine starke 30.000 Mann umfassende Armee in Manöveraktionen vor und formulierte im Schlussfeuerwerk beim Zeithainer Lager das unmissverständliche Motto "Sic fulta manebit. Sic pax". (13) Der Soldatenkönig, Friedrich I. von Preussen, der diesem Schauspiel aus - wie uns dann die spätere Geschichte zeigt - expansionistischen Gründen beiwohnte, notierte anerkennend: "Die drei Regimenter Kronprinz gut, Weissenfeld gut, sehr gut. Pflugk sehr miserabel, schlecht. Befehlsgebung gut. Von der Kavallerie habe ich Kommandos gesehen, die finde ich sehr propre". (14) Bald hatte Preussen ein stehendes Heer von 200.000 Soldaten, was die militärischen Absichten dieses zur Grossmacht strebenden Staates deutlich machte.

Vieles, auch die Einsichten in militärische Notwendigkeiten kamen August dem Starken erst spät; und es hat auf uns heute den Eindruck, als habe er versucht, in seinen letzten schon von Krankheiten (15) gezeichneten Lebensjahren aufzuholen, was er vermeintlich oder real in seinen ersten Regierungsjahren versäumt zu haben glaubte. (16)

Sein Bruder Johann Georg wurde mit 18 Jahren auf Reisen geschickt, "um ihn nachteiligen Einflüssen von Personen zu entziehen, die ihn unter Ausnutzung seiner starken Sinnlichkeit zu verleiten suchten" (17), wie der Chronist zurückhaltend deutlich vermerkt. Heute nun wissen wir um die Hintergründe, die erst 1914 in einer aufschlussreichen Dokumentation bekannt wurden.

Mit Magdalena Sibylle von Neitschütz begann am sächsischen Hofe das galante Zeitalter, wurde aus Sachen ein "galantes Sachsen", wie es der Oberzeremonienmeister von Friedrich dem Grossen, Carl Ludwig Freiherr von Pöllnitz (1692-1775), in seinem berühmten Bestseller des Barock "La saxe galante" richtig bemerkte. (18) Doch es war nicht August, den der Volksmund so gerne "den Starken" nannte, weil er die grosse Kraft in den Lenden besass, und von dem die gebildete und weitsichtige Liselotte von der Pfalz (19), Schwägerin des Sonnenkönigs, aus Paris berichtete, "hätte sich die Kunde von seiner "Kraft und Perfektion" rechtzeitig in der Seinestadt verbreitet, die Hofdamen wären ihm wohl in hellen Scharen nachgelaufen," (20) es war Johann Georg IV., der, 1691 zum Landesherren von Sachsen berufen, nachdem sein Vater Johann Georg III. am 12. September 1691 mit nur 44 Jahren in Tübingen an der Cholera gestorben war, sich mit aller jugendlichen Kraft in die Liaison mit Magdalena stürzte.

Deren Mutter, die "Generalin", versuchte die Rolle ihrer erst 16-jährigen Tochter weiter zu stabilisiert, da sie wusste, dass ob des Standesunterschiedes keine Ehe mit dem Kurfürsten möglich war. Dieser heiratete denn auch am 17. April 1692 in Leipzig auf Drängen seiner Mutter, der Kurfüstin-Witwe Anna Sophie, die sechs Jahre ältere Eleonore Erdmuthe Luise, verwitwete Markgräfin von Ansbach aus dem Hause Sachsen-Eisenach.

Er brüskierte aber seine Braut bereits am Hochzeitstag, als er ihr in Begleitung seiner Mätresse entgegen trat und sie mit Verachtung und Unhöflichkeiten behandelte. Hätte der Kurfürst von Brandenburg nicht beschwichtigend eingegriffen, so wäre diese Verbindung wohl bereits vor der Trauung wieder gelöst worden. Wenn nimmt es Wunder, dass diese Ehe kinderlos blieb. Eleonore starb bereits 1696, zwei Jahre nach dem Tode ihres Mannes, auf dem Schloss Pretzsch.

Sibylla ging es gut. Innerhalb kurzer Zeit beherrschte sie mit Hilfe ihrer Mutter, der "Generalin", den Hof in Dresden. Der liebestolle Kurfürst "erwirkte mit einer Bestechungssumme von 40.000 Talern beim Kaiser" (21) die Erhebung der Neitschütz zur Reichsgräfin von Rochlitz. Intrigen und Auseinandersetzungen führten zu grotesken Situationen. Nachdem Johann Georg seiner Geliebten das so schön gelegene Schloss Pillnitz geschenkt hatte, protestierte seine Ehefrau; was ihn so in Rage versetzte, dass er den Degen gegen sie zog. Nur das schnelle Eingreifen seines Bruders verhinderte Schlimmeres. "August sprang unbewaffnet dazwischen und entriss Johann die Waffe und zerbrach sie, wobei er sich eine Verletzung an den Fingern zuzog, die ihn ein Leben lang behindern sollte." (22)

Als seine Geliebte schwanger wurde, war Kurfürst Johann Georg glücklich. Er versprach dem Kaiser Leopold I. sächsische Hilfstruppen gegen Frankreich, wenn die Erhebung seiner Sibylla zur Reichsgräfin beschleunigt abgeschlossen würde; als Fräulein von Neitschütz konnte sie ja schlecht ein Kind des Kurfürsten gebären. 1693 zogen 12.000 Mann unter dem Befehl des Kurfürsten ins Feld, Sibylla folgte dem Heer und gebar eine Tochter. Diese wurde in Frankfurt am Main in grosser Feier auf den Namen Wilhelmina Maria getauft und hatte, obwohl unehelich gezeugt, immerhin das englische Königspaar Wilhelm und Maria als Taufpaten.

Friedrich August, dessen Verhältnis zu seinem Bruder nicht ohne Spannungen war, hatte am 10. Januar 1693 in Bayreuth Christiane Eberhardine, die Tochter des Markgrafen Christian-Ernst von Brandenburg-Bayreuth, geheiratet. Von Pöllnitz schreibt darüber: "Die Schönheit dieser Prinzessin schien alles zu übertreffen, was er (August) auf seinen Reisen je gesehen hatte. Er war verliebter in sie, als je in eine seiner Geliebten. So wollte er allen anderen Neigungen entsagen und die Prinzessin gewinnen, die ihm als das grösste Glück auf Erden erschien." (23)

Die Schönheit und Liebe hielt August allerdings nicht davon ab, sofort nach der Hochzeit nach Venedig weiter zu reisen, "um dort noch den Karneval feiern zu können, allerdings ohne seine junge Frau." (24)

Das Venedig des ausgehenden 17. Jahrhunderts zeichnet uns Hermann Schreiber so deutlich, dass wir uns den kraftvollen jungen Prinzen dort gut vorstellen können: "Venedig war nicht mehr die allmächtige Königin der Adria, die Metropole des Osthandels, die stolze Republik, die sich gegen Grosskoalitionen der Kontinentalmächte mit List und Zähigkeit behauptete; aber sie war auch noch nicht der goldschimmernde Popanz, den Napoleon mit einem Federstrich ins Museum beförderte. August traf just auf jenes Venedig, dass am Vorabend seiner Entmachtung, im Heraufkommen eines neuen Europa der Militärstaaten ebenso perfide wie verlockend auf all das verwies, was es den derben Parvenüs voraus hatte: die Selbstverständlichkeit der Traditionen und Künste, die Selbstgenügsamkeit einer vornehm-korrupten Gesellschaft, die Selbstherrlichkeit einer musikalischen, literarischen und artistischen Kultur, die in dieser Dichte nicht einmal im Rom der Päpste anzutreffen war. Als Handelsstadt an Ausländer gewöhnt, von Kaufleuten verwaltet und darum zu allem bereit, was Sitten und Unsitten betraf, tolerant bis auf die Knochen. Die Geheimpolizei kontrollierte nur die Venezianer, die Fremden durften, ja sollten sich amüsieren, und sie fanden dazu auch alles vor, dessen es bedurfte." (25) Mit anderen Worten: in Venedig ging es August richtig gut. Und seiner Vivacität, seine Lebhaftigkeit, die bereits Liselotte von der Pfalz in Paris konstatiert hatte, wurden in der Lagunenstadt keine Grenzen gesetzt.

Zunächst verliebte sich August in eine Signora Mocenigo, die aus einer der alten Dogenfamilien stammte. "Entsprechend vornehm war auch die Abfuhr, die er sich holte." (26) Schnell konnte sich der Prinz mit einer jungen Witwe trösten, die ihm zunächst an so ungewöhnlichen Plätzen wie eine dunkle Kirche Nachrichten zu Ort und Zeit eines amourösen Treffen zukommen liess. zu dem er dann per Gondel aufbrach. Das war so recht nach dem Geschmack des starken Fürsten. Seine Leidenschaft wurde so gross, dass er ganze drei Tage verschwunden blieb. Seine Entourage war schon drauf und dran, den Gondolier verhaften zu lassen, als August müde aber beglückt zurückkehrte. Die junge Dame verwöhnte ihn sehr, so dass er sie regelmässig sah. Als der Prinz jedoch eines Tages "zu ungewöhnlicher Stunde" (27) unangemeldet zu ihr eilte und schnurstracks am verblüfften Personal vorbei in ihre Gemächer eilte, fand er seine schöne Geliebte im Bett in den Armen eines Priesters. Die beiden waren so in ihr Liebesspiel vertieft, dass August eine Weile neben dem Bette stehen konnte, bevor man ihn bemerkte. Die Geliebte erschrak und versuchte sich aus der Umarmung des frommen Mannes zu befreien, wobei dieser aus dem Bett fiel und die Dame prompt über ihn stolperte. August allerdings "was not amused", voller Zorn begann er auf den Priester mit der flachen Klinge seines Degens einzuschlagen, so dass dieser in seiner Angst und sicher unter den schmerzhaften Schlägen des kräftigen zukünftigen Königs, aus dem Fenster in den Kanal sprang. Da wäre er ertrunken, hätte ihn nicht ein Bediensteter der untreuen Witwe gerettet.

Friedrich August, kein Kind von Traurigkeit, suchte und fand schnell Trost. Zunächst bei der berühmten Signora Trompettina, dann bei einer bürgerlichen, aber attraktiven Signora Mattei, endlich dann dort, wo auch andere vornehme Besucher Venedigs hingingen: bei den schönen jungen Nonnen der der Stadt vorgelagerten Inselklöster. Eine der dort lebenden adligen Novizinnen, erhörte dann das Liebesflehen des Prinzen und verhalf ihm zu angenehmster ntspannung. Allerdings liess sich die junge Dame so lange bitten, dass August, will man den Beschreibungen von Pöllnitz glauben, "schon damals beinahe katholisch geworden wäre." (28)

Erst im Februar 1694 kehrte Friedrich August nach Dresden zurück. Hier überschlugen sich die Ereignisse. Die Geliebte seines Bruders, die Reichsgräfin von Rochlitz, hatte sich nach der Geburt ihres Kindes nicht mehr erholt. Ihre Krankheit liess den Kurfürsten vermuten, dass seine eifersüchtige Frau versuche, die Nebenbuhlerin aus dem Wege zu räumen. Sibylla starb am 4. April 1694 an den Pocken, der grossen Geisel der Barockzeit. Johann Georg, der in den letzten Tagen und Stunden, nicht von der Seite seiner Geliebten gewichen war, küsste sie verzweifelt, als sie in seinen Armen starb. "Der Kurfürst ordnete Hoftrauer an. Wer nicht schwarz gekleidet war, erhielt keine Audienz." (29) Nur wenige Tage später, am 27. April, starb Johann Georg IV., ebenfalls an den Pocken, die man zu damaliger Zeit auch Blattern nannte. Er hatte sich bei seiner Geliebten angesteckt.

Da die Ehe seines Bruders kinderlos geblieben war, folgte Friedrich August als Kurfürst von Sachsen. Obwohl darauf sicherlich nicht vorbereitet, entwickelte er schnell einen eigenen Stil und sollte bald, wenn vielleicht auch nicht zum bedeutendsten so doch zum bekanntesten Spross der Wettiner werden. Und weil die Geschichte lieber auf Menschen und allzu Menschliches blickt, als sich von grossen Taten beeindrucken zu lassen, haben dazu sicherlich auch seine Mätressen beigetragen.

Zunächst ordnete August die Dinge am Hofe nach seinen Vorstellungen. Er nutzte die Stimmung des Volkes gegen die verstorbene Geliebte seines toten Bruders und gegen deren Mutter, die "Generalin", um gegen letztere einen Prozess wegen Hexerei zu führen. Dabei wechselte er schnell die Günstlinge seines Bruders am Hofe aus und ersetzte sie mit eigenen Vertrauten. Die "Generalin" wurde schuldig gesprochen, hatte den ersten Grad der Folter zu erdulden, und wurde dann auf die Festung Stolpen gebracht. Später freigelassen, lebte sie auf einem Gut ihres Sohnes bei Bauzen, wo sie 1713 starb.

Im Herbst 1694 erhielt der Hof in Dresden Besuch einer edlen Dame aus Hamburg. Sie war eine besondere Erscheinung, selbst in einer so feudalen barocken Welt. Über ihrer alten norddeutschen Familie mit schwedischem Grafentitel lag ein Hauch von Grösse und Tragik. Sie war die Schwester eines heimtückisch ermordeten Offiziers am Hannover'schen Hofe des späteren König Georg I. von England, und sie wurde die Mutter eines der berühmtesten Feldherren des 17. Jahrhunderts, des Grafen von Sachsen und späteren Marschall von Frankreich und die Ahnfrau der Dichterin George Sand.

Als August nach dem Besuch der Messe in Leipzig zurück an seine Residenz kam, sah er Aurora Gräfin von Königsmarck (1668-1728) und gestand seiner Mutter: "O Himmel, wie schön ist sie." (30) Aurora war eine Frau von Welt, ihr Auftreten, ihre gepflegte Schönheit, ihre Konversation und ihr freundlicher, keinesfalls intriganter Charakter machte sie nicht nur zu einer der grossen Persönlichkeiten ihrer Zeit, sie wurde der Glanzpunkt am noch recht provinziellen Hofe in Dresden.

Der französische Gesandte in Dresden berichtete über sie nach Paris: "Ihr Antlitz zeigt eine so wunderschöne regelmässige Schönheit, wie man sie kaum wieder findet. Zu den herrlichen dunklen Augen, aus denen Feuer, Geist und Frohsinn strahlen, stimmt das schwarze Haar, das den wunderbaren Teint noch mehr hervorhebt. Auf ihren Wangen blüht die Farbe der Gesundheit, und wenn sich ihre frischen, roten Lippen zu anmutigem Lächeln öffnen, zeigen sich zwei Reihen kleiner, köstlicher Zähne. Die Erscheinung der künftigen Favoritin - das wird sicher - ist so ungewöhnlich blendend, dass unter den Männern und selbst unter den Frauen niemand ihr den Apfel des Paris verweigern wird." (31) Und kein Geringerer als der berühmte Philosoph und Dichter François Voltaire (1694-1778), spöttischer Gesprächspartner des Alten Fritz bezeichnete Aurora von Königsmarck als "eine der bemerkenswertesten Frauen der letzten drei Jahrhunderte".

August der Starke war fasziniert von dieser Frau, die an seinen Hof gekommen war, um ihn um Unterstützung bei der Aufklärung des schon damals vermuteten Mordes an ihrem Bruder Philipp Christoph in Hannover zu bitten. August versprach zu helfen, setzte aber andere Prioritäten. Der kraftstrotzende, oft stürmische Fürst, von dem Lieselotte von der Pfalz einmal sagte, er habe mehr "Courage als Conduite", machte Aurora den Hof. Alle kavalesken Umschweifungen, das besondere Spiel dieser Zeit, fand August zu umständlich. Er näherte sich der dieser begehrenswerten Frau schnell und direkt. Eine Einladung auf das Jagdschloss Moritzburg wurde für Aurora der Beginn einer stürmischen aber kurzen Liaison mit dem Kurfürsten. Kaum angekommen, wurde sie von einem Reigen schönster Nymphen begrüsst, deren Anführerin als Diana verkleidet war. Es folgte ein Essen, zu dem August als Gott Pan gekleidet war, dann eine Gondelfahrt und ein Besuch auf einer Insel im Schlossteich, auf der ein Haremszelt errichtete worden war. Dort fand Aurora August in der Kleidung eines Sultans vor. Beim Abendessen erfreute er sie mit einem prächtigen Diadem, das auf dem für sie vorgesehenen Platz lag, dann verliess das Paar diskret die Gesellschaft, die selbstverständlich nichts davon bemerkte, und Auroa schenkte dem Fürsten, das, was er sich so ersehnt hatte.

Obwohl die ebenso freundliche wie gebildete Aurora von Königsmarck selbst in der Fürstenmutter und sogar in der Ehefrau Eberhardine keine Feindinnen hatte, obwohl sie im Gespräch "von rascher Auffassungsgabe (war)...ohne zu verletzen" (32), so dauerte die Verbindung mit August nur wenige Monate. Alexander von Sternberg erklärte das so: "Das damalige Deutschland war nicht reif für ein Weib dieser Art, für einen eminent schöpferischen Geist, den die Natur wie im absichtlichen Contrast, in die weichste, schönste weibliche Körperform gekleidet hatte. Frankreich hätte dieser Tochter des Genies und der Schönheit besser zu stellen, ihre Eigenschaften besser zu nutzen gewusst. Friedrich August sah in ihr nichst als eine reizende Geliebte, während er in ihr einen Freund, einen Minister hätte sehen sollen. Er suchte bei ihr nur das Weib, während er bei ihr...den rettenden kühnen Geist, den Genius seiner Krone hätte finden können." (33)

Im Mai 1695 begleitete Aurora den Kurfürsten noch zur Kur nach Karlsbad, doch dann verliess August zunächst Dresden, um an einem neuerlichen Türkenkrieg teilzunehmen. Am 17. Oktober 1696, fast vier Jahre nach der Hochzeit und damit für damalige Verhältnisse eine lange Zeit, gebar die Kurfürstin Christiane Eberhardine den Erbprinzen Friedrich August, den späteren Fürsten Friedrich August II, als König von Polen August III. Nur 11 Tage später kam Aurora in der alten Kaiserstadt Goslar ebenfalls mit einem Sohn von August nieder. Moritz Hermann, den sein Vater erst 1711 anerkannte, wurde ein Graf von Sachsen und sollte später als Maréchal de France (ab 1744) zu den grossen Strategen und Feldherren des 18. Jahrhunderts gehören. Er war ein Mann von Bildung, Charme und Geist, mit all den guten Erbmerkmalen seiner Mutter gesegnet, aber auch ein mutiger Draufgänger, Mann der Frauen, ganz nach seinem Vater. Er verfasste militärische und philosophische Schriften und hatte eine solche Unzahl von Affairen und amourösen Abenteuer, dass er auf einem seiner Feldzüge über seine Liebschaften klagte, sie "machen mir mehr zu schaffen, als die Husaren der Königin von Ungarn". Ein Stossseufzer, der ähnlich sich auch aus dem Munde seines Vaters gekommen sein mag. Zu seinen Geliebten zählten die berühmte Schauspielerin Adrienne le Couvreur und die einflussreiche Anna von Kurland, die spätere Zarin von Russland, die ihn 1726 zum Herzog erhob. 1750, nach siegreichen Schlachten, schenkte ihm Ludwig XIV. das herrliche Inselschloss Chambord, das später unter Napoleon das Fürstentum Wagram wurde. In Paris erinnert noch heute eine Avenue daran.

August hatte in Wien eine Gräfin Esterle, geborene Lamberg kennen und lieben gelernt, die er bei einem grossen Fest zu Ehren des Kurfürsten Friedrich III. von Brandenburg in Dresden vorstellte. Damit war für ihn die Beziehung zu Aurora von Königsmarck beendet. Diese stellte keinerlei Forderungen, ging in das Stift Quedlinburg, wo sie später Pröbstin wurde. Ihr Wunsch, Äbtissin zu werden, ging nicht in Erfüllung. Aurora starb in der Nacht vom 15. zum 16. Februar 1728 und hinterliess keinerlei Vermögen. Das Verzögern ihre Beisetzung, die erst am 29. April 1729 erfolgte, wurde zum Skandal. August, dem sie einen seiner besten Söhne geboren hatte, der tausende von Talern für das Vergnügen seiner Mätressen ausgab, verweigerte die Zahlung von 1.000 Talern, mit denen die Beisetzung und die damit verbundene Abwicklung von Legaten und kleinere Verpflichtungen hätten bezahlt werden können. Woran man sieht, nicht immer verhielt sich August, wie es sich einem Fürsten geziemt.

Wilhelmine Friederike Markgräfin von Bayreuth, Schwester von Friedrich dem Grossen, beschreibt in ihren berühmten Memoiren August den Starken, den sie in der Begleitung ihres Vaters, des Soldatenkönigs, 1728 in Dresden sah und erlebte: "Ich habe schon erwähnt, dass der König von Polen die Weiber sehr liebte. Er hielt sich ein wahres Serail. Seine Ausschweifungen sowohl in dieser Hinsicht als auch im Trinken übersteigen alle Begriffe, und man sagt, dass er von seinen Mätressen 354 Kinder gehabt haben soll. Seine damalige Mätresse oder wenigstens jene unter seinen Frauen, die er besonders auszeichnete, war seine eigene Tochter, die er mit einer in Warschau wohnenden französischen Kammerfrau gezeugt hatte; er hatte sie inzwischen zur Gräfin gemacht, und sie nannte sich Orzelska." (34)

Diese Erwähnte, Gräfin Orzelska, war die Tochter der schönen Henriette aus Warschau, die dem Kurfürsten bei seinen frühen anstrengenden Tagen in der polnischen Königsstadt zum Plesir gedient hatte. Die Tochter lebte schon etliche Jahre am Hofe in Dresden und war zu einer attraktiven jungen Frau herangereift, die Ulrich Graf Schwerin so beschreibt: "Ein unschuldiges Mädchen im Sinne landläufiger Moral war sie sicherlich nicht. Sie...fiel durch Geist, Bildung und literarische Interessen auf, und ihr gutes Herz zeigte sich in unangemessener Wohltätigkeit." (35) Die erotische Gräfin Orzelska, hat sicherlich nicht nur das Lager des Kurfürsten sondern auch das ihres Halbbruders, Friedrich August Graf Rudkowski´, geteilt. Den hatte August zusammen mit der Türkin Fatima gezeugt, Friedrich August kam 1702 zur Welt, seine Schwester Katharina 1706, beide Kinder hatte der Kurfürst und König legitimiert, sprich anerkannt. Die weit auseinanderliegenden Geburtsjahre dokumentieren, das August eine langjährige Beziehung zu der Türkin pflegte.

Als Friedrich I. zusammen mit seinem Sohn, dem späteren Friedrich den Grossen, nach Dresden kam, war der junge, erst 16 Jahre alte Prinz von der Orzelska sehr angetan. Auf gemeinschaftlichen Ausritten besuchten sie Schlösser und Sammlungen, begeisterten sich an der Natur ebenso wie an Literatur, Porzellan oder Gemälden. Die Halbfranzösin wurde, so sind sich die Biographen des Alten Fritz einig, auch zur ersten Lehrmeisterin in Liebesdingen. Als dieses nun August hinterbracht wurde, schickte er seine Tochter nach Warschau. Die marktgräfin von Bayreuth, Friedrichs Schwester schrieb später: "Mein Bruder war sehr verliebt in die Orzelska, und der König von Polen, der sehr eifersüchtig auf seine Mätresse war, bemerkte dies." (36) Schliesslich hatte man ja zwei Höfe. Dem jungen Friedrich wurde zwar eine andere Gespielin zugeführt, er versank aber in Schwermu und war nicht mehr aufzuheitern. Später hat Friedrich deutlich gemacht, dass er August den Starken als doppelzüngig und hinterhältig ansah, vielleicht ist diese Aversion in der jungen Erfahrung einer unglücklichen Liebe am Hofe zu Dresden zu finden.

Mätressen säumten seinen Weg. Doch August war stets wählerisch. Die Frauen, die er mit seiner Gunst beglückte, waren fast alle von Adel, von hohem Stande. Es waren Damen der besten Gesellschaft. Nicht wie bei Ludwig XV., der sich von seinen Lakaien junge Mädchen von der Strasse zuführen liess, damit sie ihm zu Willen waren. Unterschiedliche Quellen sprechen von 120 bis 150 Damen aus besten Kreisen, mit denen August der Starke sein Vergnügen hatte. Hier heute auf alle einzugehen, sprengt nicht nur den zeitlichen Rahmen. Eine Dame aber will ich noch vorstellen.

Anton Egon Fürst von Fürstenberg (1656-1716) (37), dessen Onkel Wilhelm Egon Graf von Fürstenberg zunächst Kardinal von Strassburg war, ehe er am Hofe von Versailles als Berater des Sonnenkönigs lebte und in den Genuss der reichen Abteilen Saint-Germain-des-Prés und Fécamp kam, Anton also, beriet freundschaftlich August, übernahm vielerlei Ämter in Dresden, unter anderem auch 1698 den Vorsitz im kurzzeitig mächtigen Revisionskollegium, und war Statthalter in Sachsen, wenn August in Polen weilte. Diesem gebildete und weitsichtige Fürstenberg, liess August 1712 vor seiner Rückkehr von Warschau nach Dresden den Befehl übermitteln, seine langjährige Mätresse, die Gräfin Cosel, aus Dresden zu enfernen. August wollte mit seiner neusten Liebe, der besonders hübschen Gräfin Marie Dönhoff, 19 Jahre jung, Tochter des polnischen Grossmarschalls Kazimierez Ludwig Graf Bielinski, in seiner Residenz an der Elbe ungestört sein.

Fürstenberg konnte sich jedoch nicht gegen die Gräfin Cosel durchsetzen, die sich als krank, schwach und reiseunfähig erklärte. In Dresden zurück, kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem Landesherrn und seiner ausgedienten Mätresse, die sich zwar in die Sommerresidenz Pillnitz an der Elbe, malerisch am Fusse des Porsberg gelegen, zurückzog, für die neue jugendliche Geliebte des Kurfürsten und Königs das Feld aber nicht räumen wollte. Gerüchte von Zauberei, gar Hexerei kursierten über die Gräfin Cosel in Dresden und verbreiteten sich rasch auch andernorts. So konnte Franz Hermann Ortgies in seinen Berliner Informationsblättern schreiben "wie nemlich S.K.M. von Pohlen auf einer Assemblée auf einmal plötzlich auf die Gräfin Dönhoff, Dero Mätresse, gefallen und ihr die Kleider in Stücken sämbtlich vom Leibe gerissen, worüber alle Anwesende höchst bestürtzt worden, zumahlen der König schier in Raserey gefallen. Dabey wird debitieret (angenommen), dass der Gräfin Cosel beigemessen würde, solches dem König aus Rache und Jalousie (Eifersucht) angethan oder beygebracht zu haben, dahero dieser bereits in der Stille decolliret (enthauptet) wäre". (38)

Wer war diese Frau, der man magische Kräfte zusprach, die nach eigenen Worten "acht Jahre das Bett mit dem Monarchen teilte, was sie damit gleichsetzte, dass sie "en service" gewesen sei" (39), die so viele Jahre als Mätresse an der Seite von August dem Starken lebte und ihm drei Kinder schenkte? Anna Constantia Reichsgräfin von Cosel (1680-1765) war eine ebenso geistreiche wie schöne Frau, als sie 1703 nach Dresden kam. Geboren auf Gut Depenau in Holstein als Anna Constanze von Brockdorff kam aus einer Familie mit verworrener Geschichte, weshalb sie froh sein konnte, als Hofdame bei Prinzessin Sophie Amalie in Gottorp unterzukommen. Als diese dann 1695 August Wilhelm von Braunschweig-Wolfenbüttel heiratete, durfte das Hoffräulein mit in die Residenzstadt Wolfenbüttel ziehen, die mit ihrer berühmten Bibliothek mit 120.000 Bänden als Zentrum der schönen Künste galt.

Als das Herrscherpaar 1699 Stockholm und anschliessend Kopenhagen besuchte, reiste Constanze mit. Dann wurde sie schwanger und die entsetzte Herzogin schickte sie sofort zurück nach Depenau. Was mit dem Kind geschah, dem sie dort das Leben schenkte, ist ungewiss. Später sprach sie einmal von vier Kindern, ohne sich aber en detail zu äussern. Nach Lage der Dinge war ihr ein Leben in Bescheidenheit und Demut auf dem Gut beschieden, da trat Adolph Magnus Freiherr von Hoym in ihr Leben. Er war der Direktor der Akziesenverwaltung in Sachsen, die August eingerichtet hatte. Durch die Hochzeit mit Hoym, die am 2. juni 1703 stattfand, kam Constanze nach Dresden. Dort fand sie nicht nur eine aufgeschlossene, aufstrebende Residenzstadt. Im Hause ihres Mannes traf sie auf dessen Mätresse und deren Kind. Als Hoym 1703 mit August nach Polen aufbrach, lebte Constanze notgedrungen monatelang mit der Mätresse unter einem Dach. Das konnte nicht gut gehen; die Ehe wurde am 8. Januar 1706 geschieden.

Darauf hatte August der Starke gewartet. Er lernte Constanze vermutlich 1704, als er mit der Mätresse Teschen liiert war. Bereits zur Neujahrsmesse 1705 in Leipzig traf er sie so "geheim", dass der ganze Hof davon wusste. Der Kurfürst war von seiner neuen Eroberung beeindruckt. Es lag sicherlich nicht nur an den fraulichen Reizen von Constanze, denn sie galt als ebenso geistreich wie schön. Sie war klug, konnte hervorragend Reiten und war eine ausgezeichnete Schützin, was sie ein um das andere Mal, auch auf ihrer Reise 1711 nach Warschau zu beweisen verstand.

Von Pöllnitz beschrieb sie so: "Sie hatte ein schmales Gesicht, eine zierliche Nase, einen kleinen Mund, prachtvolle Zähne und grosse schwarz-funkelnde aber spöttische Augen. Alle ihre Gesichtszüge waren weich, ihr Lächeln bezaubernd und zu Herzen gehend. Sie hatte schwarzes Haar, einen wunderschönen Busen, ihr Schoss war einladend, Hände, Arme und Hals waren formvollendet, der Teint blendend weiss. Ihr Körper konnte als ein Meisterstück angesehen werden. Ihre Erscheinung war majestätisch." (40)

August der Starke war verrückt nach ihr. Doch auf den förmlichen Antrag, seine Mätresse zu werden, reagierte sie zögernd. Sie stellte Bedingungen: Verabschiedung der Rivalin Teschen, eine jährliche Pension von 100.000 Talern und das Versprechen, nach dem Tode der Kurfürstin von August geehelicht zu werden. Dann wollte Constanze August dazu bringen, neben ihr keine weiteren amourösen Beziehungen zu unterhalten. Ein für August völlig abwegiger Gedanke. 1706 gebar ihm die Türkin Fatima die Tochter Katharina, 1707 Henriette Rènard die Tochter Anna Catharina. (41) Und so ging es weiter.

Einzig zu einem Entwurf eines Eheversprechens liess sich August überreden. Eine Aufwertung in ihrem Rang war für den einflussreichen Fürsten, der beste Beziehungen zum Kaiserhaus unterhielt, schon einfacher. In einer Urkunde wird Constanze am 22. Februar 1706 erstmals als Reichsgräfin von Cosel (eigentlich Cossell) erwähnt. (42) Endlich erhörte Constanze August, wurde offizielle Mätresse des Fürsten und erlangte in kurzer Zeit grossen Einfluss in der Residenz. Ihre Stellung glich der einer Königin. Sie gab Audienzen, empfing Abgesandte, und "ausländische Botschafter und Gesandte absolvierten bei ihr wie selbstverständlich ihre Antritts- oder Abschiedsbesuche." (43)

Als Friedrich August in Warschau die Gräfin Dönhoff kennenlernte, merkte er schnell, "sie war weniger anstregend als die geistreiche Cosel, aber zumindest ebenso verliebt", sie war "eine sinnliche Schönheit". (44) Am 23. Dezember 1713 ging die Ära Cosel in Dresden zu Ende. Sie siedelte nach Pillnitz über und im Sommer 1715 musste sie ihr Palais in Dresden aufgeben. Als der Kurfürst von ihr verlangte, für 200.000 Taler auf Schloss Pillnitz zu verzichten und ebenso das landesherrliche Eheversprechen zurückzugeben, floh die Reichsgräfin Cosel nach Berlin. Fürsten unter sich, auch wenn sie Kriege gegeneinander führen, sind in Liebesdingen gerne hilfreich. Friedrich August bat den preussischen König Friedrich Wilhelm I. um die Auslieferung der Cosel. Als diese dann anch Halle reiste, wurde sie dort am 22. November 1716 festgenommen und nach kurzem Aufenthalt auf Schloss Nossen zur Festung Stolpen verbracht und dort über Jahre von fast 50 Soldaten bewacht. Menschen, die ihr in ihrer Gefangenschaft freundlich oder hilfreich entgegen kamen, wurden vom Fürsten hart bestraft. Allein ihre Zofe Maria Katharina Rost wurde ohne Anklage von 1716 bis 1723 eingekerkert. Die Willkür des Fürsten und seine harte Haltung gegenüber der Frau, die am längsten von allen Mätressen an seiner Seite war, die ihm drei Kinder schenkte, ist ein Beweis der Charakterschwäche dieses barocken Menschen. Die Gräfin Cosel wurde zur Märtyrerin. Ihr Schicksal wurde in vielen Büchern beschrieben, und es bleibt ein Geheimnis, weshalb die einstmals so schöne und mächtige Frau nach jahrelanger Haft und finanziell vortrefflich ausgestattet und abgesichert (45) auch nach ihrer Freisetzung bis zu ihrem Tode in geradezu ärmlichen Umständen auf der Festung Stolpen blieb.

©1997 Michael E. Rodger

Vortrag gehalten am 18.02.1997, 20 Uhr, vor geladenen Gästen des Juwelier Stichnoth Hannover
und am 19. Juni 1997, 21 Uhr, in der Schauhallte der Staatlichen Porzellan-Manufaktur Meissen vor Gästen der Manufaktur und der Collection Le jeune Harlekin.